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Armut

Die Vertragsstaaten erkennen das Recht jedes Kindes auf einen seiner körperlichen, geistigen, seelischen, sittlichen und sozialen Entwicklung angemessenen Lebensstandard an.Übereinkommen über die Rechte des Kindes, Artikel 27,1

Einführung

Einführung

Wer in Armut lebt, hat keinen „angemessenen Lebensstandard“, es fehlen z. B. angemessener Wohnraum und ausreichende Kleidung, vollwertige Nahrungsmittel und sauberes Trinkwasser, Beschäftigung und Zugang zu medizinischer Versorgung, Bildung und Sozialleistungen. Armut kann durch bestimmte Ereignisse wie Krieg oder Naturkatastrophen entstehen oder in der ganzen Bevölkerung chronisch sein. Doch was auch immer ihre Ursache ist: Armut ist eine Menschenrechtsverletzung. Wenn es Menschen an den elementaren Notwendigkeiten des Überlebens mangelt, dann sind auch ihre anderen Menschenrechte in Gefahr, sogar das Recht auf Leben. Die Weltbank berichtet, dass in armen Ländern jedes zehnte Kind seinen fünften Geburtstag nicht erlebt. In wohlhabenden Ländern ist es nur jedes hundertste.1 Allerdings ist das Leben in einem wohlhabenden Land keine Garantie für die Abwesenheit von Armut. Ein Unicef-Bericht über Kinderarmut zeigt, dass in den reichsten Nationen der Welt 3 bis über 25 Prozent der Kinder in Armut leben. Im gleichen Bericht heißt es, dass in den 29 Mitgliedsstaaten der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) 47 Millionen Kinder, also jedes sechste Kind, unterhalb der nationalen Armutsgrenze lebt, die als die Hälfte des Durchschnittseinkommens in einem Land definiert wird.2

Alle Gesellschaften streben nach sozialem Zusammenhalt. Sie stärken Verbindendes und bekämpfen zugleich trennende, zerstörerische Kräfte. Eine der am stärksten spaltenden Kräfte jeder Gesellschaft ist eine unverhältnismäßig große Kluft zwischen Reich und Arm. Somit verbessert Armutsbekämpfung nicht nur das Leben der armen Menschen, sondern trägt auch zu einer Kultur der Menschenrechte bei und stärkt den sozialen Zusammenhalt der gesamten Gesellschaft.4

In Artikel 27 der Kinderrechtskonvention wird das Recht des Kindes auf einen seiner körperlichen, geistigen, seelischen, sittlichen und sozialen Entwicklung angemessenen Lebensstandard anerkannt. Regierungen werden ermahnt, Familien zu unterstützen, die diese Grundbedürfnisse ihrer Kinder nicht befriedigen können, insbesondere hinsichtlich Ernährung, Kleidung und Wohnraum. Das Recht des Kindes auf Leistungen der sozialen Sicherheit, die dem Kind helfen, sich unter guten Lebensbedingungen zu entwickeln, wird in Artikel 26 der KRK hervorgehoben. Doch vielen Regierungen mangelt es an den finanziellen Mitteln oder am politischen Willen, die Bedürfnisse der Kinder zu befriedigen. Selbst in reichen Ländern leben viele Kinder in Armut. Im Vereinigten Königreich zum Beispiel gilt dies für jedes fünfte Kind.5

In der Europäischen Union bewegt sich die Kinderarmut zwischen über 15% in drei südeuropäischen Ländern (Portugal, Spanien und Italien) und unter 5 % in den vier skandinavischen Ländern (Dänemark, Finnland, Norwegen und Schweden). Neun nordeuropäische Länder haben die Rate der Kinderarmut auf unter 10 % gesenkt.6 Aber es gibt keine erkennbare Relation zwischen dem Grad des Wohlergehens von Kindern und dem BIP pro Kopf der Bevölkerung. Die Tschechische Republik zum Beispiel steht in puncto Wohlergehen des Kindes besser da als manche Länder, die viel reicher sind, darunter Frankreich und Österreich. Norwegen ist das einzige europäische Land, in dem die Kinderarmut sehr gering und weiterhin auf dem Rückzug ist.7

Von wichtigen wirtschaftlichen, politischen, ökologischen und sozialen Veränderungen in der EU sind Kinder direkt betroffen. In europäischen Ländern haben junge Menschen ein höheres Armutsrisiko als die Gesamtbevölkerung (20 % der Kinder zwischen 0 und 15 Jahren und 21% der Jugendlichen zwischen 16 und 24 Jahren im Vergleich zu 16% der Erwachsenen).8 Kinder, die bei armen Eltern oder von ihren Eltern getrennt leben, sowie die Kinder mancher ethnischen Minderheiten sind besonders stark von Armut, Ausgrenzung und Diskriminierung betroffen.9

FRAGE: Was sind Ihrer Meinung nach die schlimmsten langfristigen Auswirkungen von Armut auf Kinder?

In Ost- und Südeuropa ist die Situation noch gravierender. Auch wenn die absolute Zahl der Kinder, die in Armut leben, in den letzten zehn Jahren gesunken ist, lebt in Südosteuropa und in den GUS-Staaten immer noch jedes vierte Kind (ca. 18 Millionen) in extremer Armut. Obwohl sich durch die wirtschaftliche Erholung der Region die Bedingungen für die meisten Erwachsenen inzwischen verbessert haben, gehen solche Verbesserungen nach Berichten des Innocenti Social Monitor 200610 an vielen Kindern bislang vorbei. Dort wird der Schluss gezogen, dass die meisten Regierungen – bei allen bestehenden Unterschieden zwischen den Ländern in der Region – für Kinder nicht genügend Geld bereitstellen.

In vielen Ländern gibt es anhaltende Belege dafür, dass Kinder, die in Armut aufwachsen, allgemein stärker gefährdet sind: Ihr Risiko für schlechte Gesundheit, Lern- und Verhaltensstörungen, schlechte Schulleistungen und frühe Schwangerschaft ist höher, ihre Fähigkeiten und Ansprüche sind geringer, sie werden schlechter bezahlt, sind öfter arbeitslos und von Sozialhilfe abhängig.

Wer sich durch eine Anhäufung von Benachteiligungen in einer Situation extremer Armut befindet oder unter entwürdigenden Situationen leidet, ist häufig von „sozialer Ausgrenzung“ betroffen.11 Kinder armer Eltern leiden besonders häufig unter sozialer Ausgrenzung und eingeschränkten Chancen für Bildung, Beschäftigung und Entwicklung. Auch über das Recht auf einen angemessenen Lebensstandard hinaus ist Armut eine direkte Ursache dafür, dass armen Kindern weitere Menschenrechte vorenthalten werden: z. B. das Recht auf Bildung, die Versammlungsfreiheit, das Recht auf Ruhe und Freizeit, auf Beteiligung am gemeinschaftlichen Leben und andere bürgerliche und politische Rechte. Die wirtschaftlichen, politischen oder gesellschaftlichen Prozesse, die zu Armut führen, verstärken einander im Allgemeinen und verschärfen so die jeweiligen Auswirkungen auf das Leben armer Menschen. Deshalb ist ein von Armut betroffenes Kind, das gleichzeitig einer anderen Minderheit angehört unter Umständen von doppelter Benachteiligung durch rassistische Diskriminierung und armutsbedingte Entbehrungen betroffen. Viele Einwanderer-, Flüchtlings- und Romakinder haben es nicht nur mit sozialer Ausgrenzung, sondern auch mit schlechter Bildung, unzureichenden Gesundheitsdiensten und Kinderarbeit zu tun.

Regierungen müssen die Kinderarmut bekämpfen, indem sie Sozialleistungen (Bildung, Gesundheit, Sozialhilfe) und öffentliche Dienstleistungen (Wasser, Strom, Verkehrsmittel) bereitstellen. Auch kommunale Organisationen lindern die Armut durch unmittelbare Hilfe in Form von Nahrung, Kleidung, Gesundheits- und Bildungsangeboten. Sowohl Regierungen als auch zivilgesellschaftliche Organisationen können in armen Gemeinden mit Projekten Einkommen schaffen, Kleinunternehmen unterstützen und Arbeitsplätze, Förderunterricht und qualifizierende Weiterbildungsmaßnahmen anbieten. Von Armut betroffenen Menschen Nahrung und Obdach zu geben, ist eine wichtige, aber kurzfristige Maßnahme. Auf lange Sicht erfordert Armutsbekämpfung eine verbesserte Partizipation armer Menschen an Entscheidungsprozessen, die Sicherung gemeinwesenbasierter Entwicklung und die Beseitigung von Diskriminierung aufgrund des Geschlechts, der ethnischen Zugehörigkeit und des sozialen Status. Eine wichtige Strategie der Armutsbekämpfung besteht darin, das Wirtschaftswachstum anzuregen, Märkte so zu verändern, dass sie für von Armut betroffene Menschen besser funktionieren, und in Qualifizierungsmaßnahmen. All diese Aufgaben müssen sowohl von Einzelnen als auch von Institutionen, von Regierung und Zivilgesellschaft gemeinsam in Angriff genommen werden.

Weil Kinderarmut und zunehmende soziale Ausgrenzung so gefährlich sind, wurden in den letzten Jahren von den Regierungen mehrerer europäischer Staaten Bekämpfungsstrategien formuliert. Diese Gesamtstrategien sollen nicht nur Unterstützungsmaßnahmen wie Sozialhilfe, Gesundheitsversorgung und frühe Kinderbetreuung für alle verbessern, sondern auch das Empowerment und die Qualifizierung von Familien und Kindern fördern, zum Beispiel durch Zugang zu hochwertiger Bildung für alle Kinder, Elternbildung und die stärkere Beteiligung von Kindern an verschiedenen Entscheidungsprozessen bei der Planung kommunalpolitischer Maßnahmen. Die Bekämpfung von Rassismus und verschiedenen Formen der Diskriminierung ist ein Schlüsselelement der Armutsbekämpfung.

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Relevante Menschenrechtsinstrumente

Relevante Menschenrechtsinstrumente

Europarat

Die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK), in der bürgerliche und politische Rechte garantiert werden, wird von der Europäischen Sozialcharta (ESC) ergänzt, die 1961 verabschiedet und 1996 revidiert wurde und soziale und wirtschaftliche Menschenrechte gewährleistet. Wie die meisten Menschenrechtsinstrumente enthält auch die Europäische Menschenrechtskonvention eine entschiedene Aussage gegen Diskriminierung. Doch wird darin die Armut nicht ausdrücklich als Grund für soziale Ausgrenzung genannt, sondern es heißt: „… aufgrund des … Vermögens … oder eines sonstigen Status“. In der Europäischen Sozialcharta geht es um den Alltag des Einzelnen. Dabei werden viele Schlüsselelemente von Armut abgedeckt:

  • Wohnraum: Zugang zu angemessenem und bezahlbarem Wohnraum, Abbau von Obdachlosigkeit
  • Gesundheit: erreichbare, funktionierende Gesundheitseinrichtungen für die gesamte Bevölkerung einschließlich der Vorbeugung gegen Krankheiten
  • Bildung: kostenlose Primar- und Sekundarbildung und Berufsberatung, Zugang zu Berufsbildung und Fortbildung
  • Beschäftigung: eine Wirtschafts- und Sozialpolitik, die Vollbeschäftigung anstrebt
  • Gesetzlicher und sozialer Schutz: das Recht auf soziale Sicherheit, Sozialhilfe und Sozialleistungen, das Recht auf Schutz vor Armut und sozialer Ausgrenzung

Unter diesen Garantien der Charta sticht Artikel 30, Das Recht auf Schutz gegen Armut und soziale Ausgrenzung, besonders hervor:

Um das Recht auf Schutz gegen Armut und soziale Ausgrenzung praktisch zu gewährleisten, verpflichten sich die Vertragsparteien,

  • im Rahmen eines umfassenden und koordinierten Ansatzes Maßnahmen zu ergreifen, um für Personen, die in sozialer Ausgrenzung oder Armut leben oder Gefahr laufen, in eine solche Lage zu geraten, sowie für deren Familien den tatsächlichen Zugang insbesondere zur Beschäftigung, zu Wohnraum, zur Ausbildung, zum Unterricht, zur Kultur und zur Fürsorge zu fördern;
  • diese Maßnahmen, falls erforderlich, im Hinblick auf ihre Anpassung zu überprüfen.

Vereinte Nationen

In mehreren Artikeln der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte werden die Staaten verpflichtet, geeignete Dienste bereitzustellen und ihre Bürgerinnen und Bürger im Hinblick auf angemessene Lebensbedingungen zu unterstützen:

  • Das Recht auf soziale Sicherheit, Artikel 22
  • Das Recht auf gleichen Lohn für gleiche Arbeit, Artikel 23
  • Das Recht auf Arbeitspausen und Freizeit, Artikel 24
  • Das Recht auf Bildung, Artikel 26
  • Das Recht, am kulturellen Leben teilzunehmen, Artikel 27

Direkt um Armut und soziale Ausgrenzung geht es in Artikel 25:

(1) Jeder hat das Recht auf einen Lebensstandard, der seine und seiner Familie Gesundheit und Wohl gewährleistet, einschließlich Nahrung, Kleidung, Wohnraum, ärztliche Versorgung und notwendige soziale Leistungen, sowie das Recht auf Sicherheit im Falle von Arbeitslosigkeit, Krankheit, Invalidität oder Verwitwung, im Alter sowie bei anderweitigem Verlust seiner Unterhaltsmittel durch unverschuldete Umstände.

(2) Mütter und Kinder haben Anspruch auf besondere Fürsorge und Unterstützung. Alle Kinder, eheliche wie außereheliche, genießen den gleichen sozialen Schutz.

Nicht jeder Staat verfügt über die Mittel zur Unterstützung aller Arbeitslosen, Kranken, Menschen mit Behinderungen, alten und anderen Menschen, die nicht in der Lage sind, für einen angemessenen Lebensstandard zu sorgen, aber die Staaten sind verpflichtet, so viel Unterstützung zu leisten, wie sie können. Die Menschenrechte dienen der Befriedigung menschlicher Bedürfnisse. Nahrung, Kleidung, Wohnraum und Gesundheitsversorgung sind nicht nur notwendig, um zu überleben, sie sind auch unabdingbar für die Menschenwürde.

In der Kinderrechtskonvention werden ausführliche Vorkehrungen für das wirtschaftliche Wohlergehen von Kindern getroffen. Zwar sind für die Betreuung, Entwicklung und Unterstützung des Kindes in erster Linie dessen Eltern verantwortlich, doch obliegt es dem Staat, Eltern und betreuenden Personen zu helfen, wenn sie nicht in der Lage sind, angemessen für ihr Kind zu sorgen (Artikel 18). Gemäß der Konvention hat jedes Kind außerdem Anspruch auf:

  • das erreichbare Höchstmaß an Gesundheit … sowie auf Inanspruchnahme von Einrichtungen zur Behandlung von Krankheiten und zur Wiederherstellung der Gesundheit (Artikel 24)
  • einen seiner körperlichen, geistigen, seelischen, sittlichen und sozialen Entwicklung angemessenen Lebensstandard (Artikel 27)
  • Leistungen der sozialen Sicherheit einschließlich der Sozialversicherung (Artikel 26)

Hätten alle Staaten die finanziellen Mittel und den politischen Willen, die Kinderrechtskonvention in vollem Umfang umzusetzen, gäbe es keine obdachlosen oder hungrigen Kinder mehr.

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Nützliche Websites

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1 Weltentwicklungsbericht 2000 / 2001: Bekämpfung der Armut, Weltbank 2000
2 A League Table of Child Poverty in Rich Nations: UNICEF 2000, S. 4
3 Ebenda, S. iii.
4 Strategy for Social Cohesion, Dokument CDCS (2000) 43 des Europarats: Europarat 2000, S. 7 – 10
5 A League Table of Child Poverty in Rich Nations: UNICEF 2000
6 Child Poverty in Perspective: An overview of child well-being in rich countries: UNICEF Innocenti Research Centre 2007, S. 5
7 Ebenda, S. 6
8 Ebenda
9 Mitteilung der Kommission im Hinblick auf eine EU-Kinderrechtsstrategie KOM (2006) 367 endgültig, Brüssel 200610 Innocenti Social Monitor 2006: Understanding Child Poverty in South-eastern Europe and the Commonwealth of IndependentStates: UNICEF Innocenti Research Centre 2006
11 Siehe Europäische Sozialcharta: conventions.coe.int/Treaty/ger/Treaties/Html/163.htm